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  • Klaus Kuenen

Wie es im Gehirn eines guten Managers aussieht

Aktualisiert: 4. Feb. 2022

Ein spannender Artikel aus der Welt Online.

Unternehmerhirne funktionieren anders: Neue Studien zeigen, dass die besten Führungskräfte Entscheidungen nicht so treffen, wie bislang angenommen. Die Neuverdrahtung des Gehirns kann man lernen.

Von Andrew Blackman

Was auch immer Sie glauben, über die Entscheidungsfindung der besten Manager zu wissen – es ist wahrscheinlich kompletter Unsinn.

Zum Beispiel „wissen“ wir alle, dass Zeitdruck oft Inspiration bringt. Das stimmt nicht. Fristen sind eher kontraproduktiv und machen Menschen weniger kreativ, gerade wenn Kreativität eigentlich dringend nötig wäre. Die meisten von uns nehmen außerdem an, dass wir die Teile unseres Gehirns verwenden, die für Logik verantwortlich sind, wenn wir ein Problem lösen wollen. Gute Strategen scheinen allerdings dazu vielmehr die emotionalen und intuitiven Teile ihres Gehirns einzusetzen.

Diese Erkenntnisse hat die Wissenschaft der funktionellen Bildgebung zu verdanken, bei der Forscher mit Maschinen einsehen können, was im Gehirn passiert, während Menschen ihrer Arbeit nachgehen oder Probleme lösen. Diese Forschung steht noch ganz am Anfang, doch schon jetzt bietet sie Erkenntnisse, die vorher nicht möglich gewesen wären.

Wissenschaftler können jetzt sehen, wie ein Gehirn auf eine bestimmte Situation reagiert. Dadurch dürften wir mehr darüber erfahren, wie Führungskräfte gute Entscheidungen treffen und wie andere davon lernen können.



Wer Innovation will, sollte Fristen meiden

Oft glauben wir, dass uns eine Deadline dabei hilft, Trägheit abzuschütteln und uns besser zu konzentrieren. Die neusten Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Fristen schränken unser Denken ein und können zu schlechteren Entscheidungen führen.

Richard Boyatzis und seine Kollegen haben herausgefunden, dass nahende Deadlines die Dringlichkeit und den Stresspegel heben. Menschen reagieren darauf, indem sie die Teile des Gehirns stärker aktivieren, die Probleme lösen. Originelle Ideen entstehen jedoch woanders.

„Die Forschung zeigt uns: Je größer der Stress vor einer Frist, desto weniger ist man für andere Herangehensweisen an Probleme offen“, sagt Boyatzis, Professor für Organizational Behavior, Psychologie und Kognitionsforschung an der Case Western Reserve University. „Genau dann, wenn Organisationen wollen, dass Menschen über den Tellerrand hinausschauen, sehen sie nicht einmal den Teller.“

Ein IT-Manager, der ein neues Software-Produkt so schnell wie möglich auf den Markt bringen soll, wird sich wahrscheinlich beeilen, alle technischen Probleme zu lösen. Stünde er nicht unter Druck, würde er vielleicht erst einmal überlegen, warum all diese Probleme überhaupt existieren, und den Code dann ganz anders programmieren, damit Probleme gar nicht erst entstehen.

Heißt das, dass Unternehmen Fristen ganz abschaffen sollten? In den meisten Fällen ist das unrealistisch. Deshalb rät Srini Pillay, Professor an der Harvard Medical School und Gründer der Coaching-Firma Neuro Business Group, dass Unternehmen ihren Angestellten dabei helfen, den Stress zu reduzieren und die kreativen Teile des Gehirns anzusprechen.

Dazu sollten Angestellte zum Beispiel lernen, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, zum Beispiel, indem sie meditieren. In diesem Gemütszustand sind die kreativen Teile des Gehirns meist aktiv. „Wenn Menschen beim Nachdenken eine Sackgasse erreichen, denken sie meist nur noch angestrengter nach“, sagt Pillay. „Die Neurowissenschaft legt jedoch nahe, dass es wichtiger ist, anders zu denken.“

Unsicherheit führt zu schlechten Entscheidungen

Das Ticken der Uhr ist nicht der einzige Faktor, der zu Stress und schlechten Entscheidungen führt. Auch Unsicherheit, so zum Beispiel das Gefühl, dass der eigene Job oder die Zukunft des Unternehmens auf dem Spiel steht, kann stressig sein.

Pillay zitiert eine Studie, laut der Unsicherheit die Bereiche des Gehirns aktiviert, die mit Angst und Ekel verbunden werden. „In Zeiten der Unsicherheit trifft man Entscheidungen auf Basis von gefühlt drohendem Unheil“, sagt er.

Das Problem sei auch, dass 75 Prozent der Studienteilnehmer in unsicheren Situationen fälschlicherweise vorhersagten, dass schlechte Dinge passieren würden. Diese Angstentscheidungen seien daher oft genau die falschen gewesen, sagt Pillay.

Wenn ein Unternehmen zum Beispiel Schwierigkeiten hat, eine Konjunkturschwäche zu verarbeiten, könnte ein Manager zu unsicher und pessimistisch sein, um neue Mitarbeiter einzustellen oder in neue Maschinen zu investieren. Dabei könnten es genau diese Entscheidungen sein, die dem Unternehmen dabei helfen würden, die Konkurrenz wieder einzuholen.

Da Unsicherheit ein fester Bestandteil vieler moderner Arbeitsplätze ist, sollte man sie nicht vermeiden, sondern eher lernen, sie zu akzeptieren. „Es ist wichtig zu wissen, dass man wahrscheinlich übertrieben reagiert“, sagt Pillay.

Pillay erklärte Managern eines großen Energieunternehmens vor kurzem, wie sie in unsicheren Situationen Entscheidungen treffen sollten. Vor allem sollten sie verstehen, dass keine Entscheidung unwiderruflich ist – wenn sich die Umstände ändern, könne man die Entscheidung später immer noch anpassen. Das könne den Druck reduzieren, sagt er, und Menschen in die Lage versetzen, zu handeln. Es könne auch hilfreich sein, sich über den eigenen Pessimismus klar zu werden und das Problem in einem positiveren Rahmen zu sehen.

Herausragende Denker sehen mehr als nur Fakten

Jeder kennt das klassische Bild des sturen Entscheiders, der nur hinter den harten Fakten her ist. Forscher glauben jetzt jedoch, dass die Wahrheit weitaus komplexer ist: Die besten Führungskräfte vertrauen weit mehr auf ihre Gefühle als auf die Logik.

Roderick Gilkey, Professor für Management und Psychiatrie an der Emory University, hat mit Kollegen untersucht, was passiert, wenn Manager strategische Entscheidungen treffen. Sie konfrontierten eine Gruppe von erfahrenen Managern mit Szenarien, baten sie um ihre Analyse und Empfehlungen und scannten dann ihre Gehirne in einer funktionellen Kernspintomografie, während die Studienteilnehmer ihre Aufgaben erledigten.

Sie rechneten damit, dass besonders der präfrontale Kortex aktiv werden würde – der Teil des Gehirns, wo Planung und logisches Denken stattfinden. Dieser war zwar aktiv, doch andere Teile des Gehirns wurden noch mehr angesprochen, vor allem diejenigen, die für soziales und emotionales Denken verantwortlich sind. Gerade die talentiertesten Strategen in der Gruppe zeigten mehr Aktivität in diesen Gegenden.

„Eine mögliche Schlussfolgerung ist, dass Menschen, die gut Strategien entwickeln können, diese besser ‚erfühlen‘ als logisch entwickeln können“, sagt David Rock, Direktor der Forschungsorganisation NeuroLeadership Institute.

Zum Beispiel würde ein durchschnittlicher Manager, der die Gewinnmarge eines Unternehmens verbessern soll, wahrscheinlich Kosten reduzieren, indem er Mitarbeiter entlässt, und jede emotionale Reaktion als Schwäche abstempeln. Ein guter strategischer Denker würde diese Gefühle mit einkalkulieren und die langfristige Wirkung seiner Handlungen auf Arbeitsmoral, Mitarbeiterbindung und Produktivität durchdenken. Letztendlich könnten die beiden Manager die Rentabilität ganz unterschiedlich steigern.

Diese Forschungsergebnisse passen zu anderen Studien mit funktioneller Bildgebungstechnologie. Sie zeigen, dass soziales und analytisches Denken ganz unterschiedliche Teile des Gehirns beanspruchen, und dass soziales Denken weit wichtiger ist als bisher bekannt. Anders gesagt: Ein Problem mit den Augen anderer zu sehen ist genauso wichtig, wie die Fakten zu analysieren.

Reaktionen der Menschen mitbedenken

Eine durchschnittliche Führungskraft, die zum Beispiel eine kontroverse neue Strategie umsetzen will, nimmt womöglich an, dass es reicht, dem Team mitzuteilen, was erledigt werden muss. Diese glauben jedoch womöglich, dass ihr Status untergraben wurde, als sie sich nicht an der Debatte beteiligen durften. Eine herausragende Führungskraft würde instinktiv erkennen, dass in einer solchen Situation jeder mit an Bord sein muss.

„Wenn man in einer Organisation eine Entscheidung trifft, muss man auch über die Reaktionen anderer Menschen nachdenken“, sagt Rock. „Viele Strategien funktionieren nicht, weil Manager nicht durchdacht haben, wie sie Menschen damit beeinflussen.“

Das Problem ist, dass viele Menschen es schwer haben, zwischen der sozialen und der analytischen Denkweise zu wechseln. „Unser Gehirn ist in der Lage, zwischen diesen Denkweisen hin und her zu wechseln, aber tatsächlich tun wir es nicht sehr häufig. Wenn wir es uns in einer Denkweise bequem machen, wirkt das selbstverstärkend“, sagt Matthew Lieberman, Professor für Psychologie an der University of California in Los Angeles.

Einfache Erinnerungen könnten das ändern, sagt er. Wenn man zum Beispiel in einem Meeting ist, wo man sich häufig von Zahlen und Analysen vereinnahmen lässt, könne man in seinen Notizen Erinnerungen einfügen, die einen darauf hinweisen, regelmäßig zu prüfen, wie die Stimmung im Raum ist.

Führungskräfte sollten optimistisch bleiben

Ein anderes Forschungsgebiet untersucht, wie gute Führungskräfte andere inspirieren. Das Geheimnis scheint dabei das Zuckerbrot und nicht die Peitsche zu sein.

Boyatzis und andere Forscher haben Gehirne von Studienteilnehmern gescannt, um herauszufinden, was dort passiert, wenn diese sich an Interaktionen mit guten Führungskräften erinnern. Teile des Gehirns, die für soziales Denken und positive Emotionen verantwortlich sind, wurden dabei besonders beansprucht.

Die besten Führungskräfte motivieren ihre Angestellten offenbar, indem sie sie ermutigen, loben und belohnen. Damit schaffen sie eine starke emotionale Bindung und mehr Zielstrebigkeit unter den Angestellten.

„Wir haben immer noch diese Idee im Kopf, dass man negativ und streng sein muss, damit etwas erledigt wird. Die Daten zeigen jedoch, dass das auf einem ganz grundlegenden menschlichen Niveau nicht stimmt“, sagt Boyatzis. „Das hat nichts mit Geschlecht oder kulturellen Unterschieden oder sonst was zu tun. Es hat damit zu tun, wie unser Gehirn funktioniert.“

Die Vision im Kopf

Indessen untersuchen andere Forscher, wie Manager selbst ticken. David Waldman, Management-Professor an der Arizona State University, hat zusammen mit Kollegen Gehirnbildgebungsstudien mit Managern, Unternehmern und Armeeoffizieren durchgeführt. Dabei will er herausfinden, wie sich die elektrischen Gehirnaktivitäten bei guten und weniger guten Führungskräften unterscheiden.

Eine Erkenntnis hat mit inspirierenden Führungsqualitäten zu tun, also ob sie in der Lage sind, eine Vision auszudrücken, die Menschen dazu bringt, eine Strategie zu unterstützen. Dazu müssen Führungskräfte nicht nur das Gesamtbild im Blick haben, sie müssen es auch in klare Worte fassen und vermitteln können.

Forscher haben herausgefunden, dass diese Fähigkeit eng mit bestimmten Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen verbunden ist. Gute Führungskräfte scheinen solche Verbindungen leicht herzustellen, weniger gute Manager tun das nicht.

Waldman und seine Kollegen versuchen, dieses Wissen anzuwenden, indem sie Menschen beibringen, diese Gehirnregionen besser zu nutzen. Dabei nutzen sie das sogenannte Neurofeedback, eine Technik, die dem Gehirn hilft, neue Prozesse zu erlernen. Ein Computer überwacht die Gehirnaktivität von Menschen, die zum Beispiel einen Film schauen. Dann vermittelt der Computer positive oder negative Verstärkungen.

Manager sollen Gehirn neu verdrahten

Wenn Menschen nicht die gewünschten Denkmuster im Gehirn aufweisen, wird der Bildschirm beispielsweise unscharf. Reagieren sie wie gewünscht, wird das Bild wieder scharf. Ein Gehirn lernt so nach und nach, die Muster zu verfolgen, die positiv verstärkt werden.

Der Theorie nach wird das so trainierte Gehirn die Bereiche für visionäre Führungsqualitäten von Natur aus ansprechen und es der Person idealerweise leichter machen, andere zu inspirieren.

„Wir stehen kurz davor, Führungskräften dabei helfen zu können, ihr eigenes Gehirn durch Neurofeedback neu zu verdrahten“, sagt Waldman. „Das basiert auf vielen Studien, wobei wir Muster im Gehirn identifizieren wollen, die eine bessere Führungskraft auszeichnen. Dann nutzen wir Computertraining, um Menschen zu helfen, diese Muster selbst zu entwickeln.“

Auf anderen Gebieten würden solche Techniken bereits angewendet, sagt er, zum Beispiel bei der Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen. Neurofeedback muss jedoch noch weiter erforscht werden, bevor sich Wissenschaftler sicher sein können, dass es dabei hilft, Führungsqualitäten zu entwickeln. Und selbst wenn das möglich ist, muss es wahrscheinlich zusammen mit traditionellen Techniken wie Coaching eingesetzt werden.

„Wir glauben, dass das ein wichtiger Bestandteil der Techniken zur Führungskräfteentwicklung werden kann“, sagt Waldman.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen unter dem Titel „Wie es im Gehirn eines Managers aussieht“ beim „Wall Street Journal Deutschland“.

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