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  • Klaus Kuenen

Sabbatical

Aktualisiert: 15. Feb. 2022

Mein Sabbatical

Immer wieder werde ich nach meinem Sabbatical gefragt: Wie das so war, was ich gemacht habe, was sich verändert hat und warum ich das überhaupt gemacht habe. Tatsächlich wurde sogar gefragt, warum ich das in meiner Vita überhaupt publiziere, dass wäre für die Karriere doch bestimmt nicht förderlich. Was soll ich dazu sagen…

Alles zu meinem Sabbatical habe ich in diesem Artikel zusammen geschrieben. Vielleicht gibt es hier ja ähnliche oder ganz andere Erfahrungen oder Fragen zum Thema – ich freue mich auf Feedback.

Was mache ich hier eigentlich

Es gibt solche Tage und wir kennen sie alle. An diesen Tagen fragt man sich: was mache ich hier eigentlich? Manchmal folgt auf einen solchen Tag gleich noch so einer und manchmal noch einer. So ging es auch mir und als diese Folge kein Ende nehmen wollte, als jede Motivationstechnik und positives Denken nur kurze Linderung verschafften war mir klar: Kein Tag länger! Weg hier. Natürlich kommen dann alle Beruhigungs- und Selbstversicherungsargumente gleichzeitig: das ist in allen Jobs so, du hast Verantwortung für deine Familie, du findest keinen Job mehr, warum willst du denn in deinem Alter noch einen Turn machen?…


Beschwerden

Im Laufe meiner Berufsjahre hatten sich tatsächlich einige Stressbedingte Beschwerden eingestellt, von den Schlaflosigkeit noch die harmloseste war. Natürlich lernt man, damit zu leben und zu funktionieren aber ich erinnerte mich auch noch an die Zeit ohne diese Beschwerden. Da wollte ich wieder hin, meine Lebensfreude und Lebensqualität wieder auf ein anderes Level bringen. Für mich und für meine Familie.

Eine Auszeit?

Eine Auszeit, ein Sabbatical musste her, irgendetwas anderes machen. Raum und Zeit haben, neu über meine berufliche Ausrichtung nachzudenken. Mal den Kopf so ganz frei zu bekommen und nein, die zwei Wochen im Jahresurlaub reichen dazu nicht aus…auch mögliche drei Wochen nicht. Nach Gesprächen mit Vorgesetztem, Personalabteilung und Team war dann schnell und unerwartet einfach klar, wie so etwas anzugehen ist. Genügend Vorlauf für alle Beteiligten und einige Wochen später stand ich morgens auf und hatte den ersten Tag meines Sabbaticals vor mir. Und ab jetzt ein ganzes Jahr Zeit für…ja, wofür eigentlich?

Pläne und Ideen

Pläne hatte ich einige: In der Wohnung wollte ich alles Mögliche erledigen, eine neue Küche bauen, Freunde besuchen, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, eine neue Tätigkeit in einer Agentur ausprobieren. Vor allem aber viel Zeit für die Familie, für den Sohn, der auf dem Sprung ins Studium in eine andere Stadt war. Vorher wollte er mit seiner Band noch eine CD aufnehmen – da wollte ich natürlich kräftig mitmischen. Was nicht auf dem Zettel stand waren Dinge wie: Backpacker Tour, Weltumsegelung oder ähnliches. Mir war klar, wenn ich das tue, nehme ich nur mich selber mit und alles, was ich mit mir selber zu erledigen habe, begleitet mich. Ich wollte mich um die Dinge kümmern, die wirklich wichtig für mich sind und mich nicht weiter mit Dingen ablenken, die zu solchen Reisen nun mal dazu gehören. Ich wollte bei mir bleiben, nicht weglaufen.

Der erste Tag

Fühlt sich ja genauso an wie vorher…irgendwie wie ein Wochenende. Also los, Werkzeug aus dem Keller und das Projekt „alles in der Wohnung erledigen“ lief.

Allerdings nur einige Tage, dann standen die ersten Tage in der Agentur an. Kundengespräche, Abstimmungen, Planungen…fast wie in meinem alten Job, und wie ich bald bemerkte, sehr viel anders fühlte es sich auch nicht an. Daneben begann ich, meine Vorlesungsreihe für die Hochschule vorzubereiten. Zwei Semester mit Prüfungen standen an. Zur Abwechslung ab und zu noch eine Abendveranstaltung mit Vorlesungen und Workshops bei einem freien Bildungsträger.

Nach einem halben Jahr…

Nach einigen Monaten endete die Zusammenarbeit mit der Agentur. Das gegenseitige Feedback war offen, freundlich und deutlich:  Fachlich und menschlich alles fein, aber warum wirkst du so angestrengt? Ja, stimmt, angestrengt war ich wirklich. Selten fühlte ich mich derart unter Druck und mit Blick auf das ganze Konstrukt, das ich mir während des Sabbaticals aufgebaut hatte, stellte ich fest:  mehr Arbeit als vorher!

In diesen ersten sechs Monaten meines Sabbaticals hatte ich tatsächlich das Gefühl, mehr zu arbeiten als je zuvor. Vielleicht war das auch so, aber es war auch klar: Irgendetwas lief hier ganz falsch…das war doch nicht der Sinn der ganzen Aktion?

Alles stoppen

Nein, hier lief etwas ganz sicher ganz fürchterlich falsch. Nach fast einem halben Jahr im Sabbatical stellte ich fest: Es hatte sich nicht wirklich etwas verändert. Aber ich wollte doch Veränderung – warum funktionierte das nicht? Was musste ich nur tun um wirklich Veränderung herbeizuführen? Hatte ich nicht schon alles getan? An einem Nachmittag im Sommer, dass Sabbatical war schon ein halbes Jahr um lag die Lösung von einem Moment zum anderen direkt vor mir. Sie war denkbar einfach. Ich nahm meinen Terminkalender und meine Aufgabenliste und begann, mir jeden einzelnen Eintrag genau anzusehen. Zu jedem Eintrag rekapitulierte ich: Wie ist es dir dabei gegangen, wie hast du dich gefühlt, was hat es dir gegeben und vor allem: Warum hast du das gemacht? Dabei achtete ich auf mein Bauchgefühl. Fühlten sich die Erinnerungen gut an? Freute ich mich auf die Aufgabe? Freute ich mich auf das Gespräch oder den Termin? War die Antwort aus meinem Bauch ein „Nein“, strich ich den Eintrag. Selten hatte ich am Ende eines Tages so viele Striche in der Aufgabenliste, wie an diesem Tag. Ich saß auf unserem Balkon und schaute in den Hof. Ich erlebte mich leer und doch ruhig und gelassen. Irgend etwas hatte sich geändert und dieser Tag ging zu Ende ohne zu wissen, wie es jetzt weiter gehen soll, aber auch ohne die Frage, was ich denn Morgen alles zu tun habe. Das Andere war: Es machte mir nichts mehr aus, nichts mehr vor zu haben. Ich schloss die Augen, spürte die Sonne in meinem Gesicht und genoss den Sommertag. Am nächsten Tag begann ich meine noch laufenden Aufgaben und die Zusammenarbeit mit Agenturen und Hochschulen zu beenden.

Jetzt hatte ich tatsächlich keinen Job mehr.

Unser Sohn zieht nach Hamburg

Vor lauter Arbeit war ich überhaupt nicht dazu gekommen, meinen Sohn und seine Band bei den Aufnahmen zu ihrer CD zu unterstützen. Klar habe ich sein Schlagzeug einige Male von hier nach da gefahren und den Rest der Combo auch. Ist ja auch toll, wenn ein Vater während eines Wochentages einfach so Zeit hat. Bei den eigentlichen Aufnahmen war ich aber nur sporadisch anwesend. Wie ich später erfuhr, war das auch genau richtig so, denn für die Band war das ebenfalls so etwas wie Abschied nehmen und zuviel Vater vor Ort wäre dabei nicht gut gewesen. Alle hatten ihr Abi in der Tasche und ihre Wege führten von nun an in unterschiedliche Richtungen und unterschiedliche Städte. Bei uns zuhause packten wir gerade seine Kartons für den Umzug nach Hamburg, wo er sein Studium aufnahm. Es war viel Zeit zum Reden da, bei den Vorbereitungen, beim eigentlichen Umzug, bei der Wohnungsrenovierung. Ich realisierte, er ist jetzt kein Kind mehr, sondern ein junger Mann, der nun die erste eigene Wohnung mit seiner Freundin bezieht. Das war eine gute Zeit und auf dieser neuen Ebene des Miteinanders sind wir uns nochmal näher gekommen.  Allein dafür hat sich das Sabbatical gelohnt!

Es verändert sich etwas

Fast acht Monate in meinem Sabbatical waren vorbei. Nach Beendigung meiner Aktivitäten machte ich: Nichts! Wobei das ja die Definition aus dem klassischen Leistungsdenken heraus ist. Tatsächlich stand ich morgens natürlich auf, las die Zeitung, trank meinen Kaffee, genoss den Sommer in der Altstadt und joggte am Rhein entlang. Und zwar nicht mehr morgens, um „in Fahrt“ zu kommen oder abends um „runter“ zu kommen, nein, einfach weil ich Lust dazu hatte. Die „alten“ Projekte und Aufgaben und auch die emotionale Verbindung dazu hatte ich inzwischen ein gutes Stück hinter mir gelassen. Oder war es nicht eher eine Verstrickung? Ich lebte in den Tag hinein und fühlte mich dabei nicht mehr unruhig oder hatte das Gefühl, ich müsste unbedingt etwas tun oder fertigstellen. Ruhe und Gelassenheit hielten an. Und dann, von einem Tag auf den anderen und vollkommen ohne Vorankündigung wachte ich eines morgens auf und stellte fest: Ich hatte durchgeschlafen! Auch alle anderen Beschwerden waren spurlos verschwunden. Einfach so, ohne Medikamente, Heilkräuter, Yoga oder sonst irgendetwas. Unglaublich, was für ein Gefühl der Erleichterung.

Mein alter Prof

Einige Wochen vor Ende meines Sabbaticals traf ich eher zufällig meinen alten Prof, mit dem ich bereits 2001 einen Anlauf zu einer Promotion unternommen hatte. Nach Kaffee, rheinischem Streuselkuchen und langen Gespräch verabschiedete er mich mit der Bemerkung: „Ach ja, in 3 Jahren emeritiere ich. Wenn du immer noch bei mir promovieren willst, dann musst du dich aber beeilen“ Er lachte dabei und klopfte mir belustigt auf die Schulter, so als hätte er einen Witz für Insider gemacht – aber der Satz saß! Sollte ich mir das wirklich antun? Gerade noch alles losgelassen und entspannt und jetzt? Eine Idee für ein Thema hatte ich schon, es trieb mich seit einigen Jahren um und ließ mich immer wieder in Unverständnis zurück. Wäre doch eine Gelegenheit, dieses Unverständnis aufzulösen und der Frage mal wirklich auf den Grund zu gehen. Und da das Thema der disruptiven Innovationen seit den Untersuchungen von Clayton Christensen immer aus der wirtschaftlichen Perspektive betrachtet wurde, könnte eine Diskussion aus meiner designwissenschaftlichen Perspektive dem doch vielleicht neue Aspekte hinzufügen?

Aber gut, dass ist ein anderes Thema, und wen es interessiert, hier habe ich einige Essays dazu veröffentlicht:

Die gesamte Promotionsschrift findet sich hier:


https://www.amazon.de/Disruptive-Innovationen-aus-designwissenschaftlicher-Perspektive/dp/300056358X/ref=tmm_hrd_swatch_0?_encoding=UTF8&qid=1644581237&sr=1-3

Zurück in den Job

Nach einem Jahr war es dann soweit: es ging zurück zu meinem alten Arbeitgeber mit neuen Aufgaben in einer neuen Abteilung.. Während des Sabbaticals hatte ich Kontakt zu einem Kollegen, der mir von den Planungen zu einem spannenden, neuen eCommerce Projekt berichtete. Das klang gut, und ich begann das Jahr 1 nach dem Sabbatical in seinem Team, verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung der eCommerce Strategie.

Was ist heute anders?

Inzwischen sind vier Jahre vergangen. Aus dem eCommerce Projekt heraus habe ich verschiedene Konzepte und Umsetzungen zur Themenfeld Lean Management entwickelt. Auch heute noch beginne ich jeden Tag mit einem guten Gefühl, der Gedanke: „Was mache ich hier eigentlich?“ hat sich seitdem nicht mehr eingestellt.

Aktuell orientiere ich mich gerade neu. Ich will den Themen der kulturellen Veränderungen in Unternehmen auf der operativen Ebene noch intensiver nachgehen und die Möglichkeiten von Design Thinking und Customer Journey ausloten. Dabei sind Werte und Ethik, deren Verständnis und die Übersetzung in Handlungsrahmen wesentliche Faktoren.

Im Rückblick war das Sabbatical eine meiner wichtigsten beruflichen Entscheidungen. Prioritäten haben sich verschoben. Nicht in der Vorstellung und in Bildern – es fühlt sich auch so an. Es ist wirklich schwer zu beschreiben und es soll nicht pathetisch klingen aber mein Leben hat sich verändert. Druck ist verschwunden, eine neue Klarheit ist dazu gekommen und das gibt mir eine Energie, die ich lange nicht mehr hatte.

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