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  • Klaus Kuenen

Essay: Eine prozessuale Designtheorie

Aktualisiert: 15. Feb. 2022

Zur Unterscheidung von gestalterischem Design und der prozessualen Designtheorie. Darin auch beschrieben, die Wichtigkeit der Empathie.

Etwas über Ästhetik gefällig zu machen, ist Gestaltung. Es beschreibt den Versuch, Anschluss herzustellen und ist damit bereits Teil der Adoption. Ein prozessuales Designverständnis als Designtheorie versteht den Gegenstandsbezug (Objekt, Ablauf, Information, etc.) nicht alleine als Gebrauchswert (Instrument) in einer zu erwartenden und zu erforschenden Situation, sondern als Teil eines offenen Prozesses. Der Zielbezug erklärt sich nicht erschöpfend in erwarteten Handlungszielen, welche sich vorwegnehmend kalkulieren lassen. Design kann nicht auf Gegenstandsbezug und Handlungsziel reduziert werden – im Sinne eines „Werkzeugcharakters“, der vorgreifend analysiert werden kann.

Zuerst eine Zusammenfassung aus dem gesamten Text.

  1. Die designwissenschaftliche Perspektive nimmt im Hinblick auf wirtschaftliche Aspekte wie Werte, Wahrnehmung, Adoption eine erklärende Metaebene ein.

  2. Diese Ebene ist reflektiv, auf ihr setze ich mich pre-reflexiv (empathisch) mit den „gegebenen“ und „noch nicht gewordenen“ Möglichkeiten auseinander.

  3. Ich handele rekonstruktiv, indem ich beide Sprachen (die der Wirtschaft und die der Designwissenschaft) verstehe und in Dialog zueinander bringe.

  4. Der Dialog ergibt sich in der Situation – wo Kulturen aufeinandertreffen und die Notwendigkeit für Übergänge schaffen.

  5. Dazu gehört ein sich Lösen aus der Situation, um auf die Ebene der Reflektion zu kommen, aber auch ein empathisches wieder zurückkehren.

  6. Neben Reflexion und Orientierung ist mir noch wichtiger: Die Empathie, sie schafft die Verbindung zur Situation und auch zur Ebene der Möglichkeiten (kreatives Handeln)

  7. Ich fokussiere ich auf das Schaffen und Erforschen von Möglichkeiten, nicht von Lösungen. Dies ist ausschlaggebend für mein prozessuales Designverständniss (Designtheorie).

  8. Der Designprozess stellt den Rahmen des Handelns im Innovationsprozess dar, als reflexive / pre-reflexive Tätigkeit steht er vor, im und nach dem Handeln.

  9. Alleine der Designprozess sorgt für Anschlussfähigkeit, die sich weniger über Gestaltung herstellt, als über den reflexiven/pre-reflexiven Umgang mit Wissensständen.

  10. Zielsetzungen sind nicht im Vorfeld zu verstehen und zu erkennen, sie ergeben sich „im Handeln“.

Innovation ist in dem Sinne das Ergebnis einer gefilterten Wahrnehmung, sowohl auf der situativen, wie auf der diskursiven Ebene. Es ist der bedeutungsgebende Designprozess, der nicht nur für die Invention ausschlaggebend ist (es gibt nichts, was es nicht vorher schon gab), sondern anschließend auch für die Diffusion und Adoption, ohne die eine Innovation nicht möglich ist. In diesem Essay unternehme ich den Versuch, Grundzüge einer prozessualen Designtheorie darzulegen, die die wirtschaftstheoretischen Überlegungen zum Phänomen disruptive Innovation zur Grundlage nehmen.

Schlüssig wird eine prozessuale Designtheorie, wenn ich das kreative Handeln von dem theoretischen, wissenschaftlichen Akt abtrenne, obwohl eine handlungsbasierte Disziplin wie Design nur im Handeln fußen kann. Diese Aussage klingt zunächst paradox, sie reflektiert jedoch, was zu der Spannung zwischen Verallgemeinerung und Vereinzelung gesagt wurde. Das prozessuale Designverständnis, welches hier vorgestellt wird, befasst sich nicht mit gestalterischen Fragen, sondern mit dem Problem, wie am Übergang zwischen Design und Wirtschaft mit Wissensständen umzugehen ist. Gibt es ein „richtiges“ Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge, insbesondere wenn es um das Verstehen innovativer Prozesse geht? Sicherlich nicht.

Design und Wirtschaft als reflexive Praxen zusammenzubringen, verspricht, besser zu begreifen, wie mit den spezifischen Wissensständen, die Design und Wirtschaft als situative und diskursive Praxen implementieren, umzugehen ist – in einem Prozess dialogischer Hybridität. Mit Wissensständen umgehen heißt, Werte und Sprachen zu verstehen – auf der vereinzelten wie der übergreifenden/vorausgreifenden Ebene.

Zum einen gilt es, „den Kontext derjenigen Sprache identifizierbar [zu machen] in welcher die Akteure selbst ihre Handlung verstehen“[i]. Zum anderen heißt es: „Nur unter Voraussetzungen des Allgemeinen einer regelmäßigen Sprachpraxis kann das Besondere einer Handlung überhaupt gedacht, und nur vermittels der Kenntnis jenes Allgemeinen kann es als Besonderes identifiziert werden.“[ii] Diese Spannung nennt Böhler eine „handlungskonstitutive Spannung zwischen Regelmäßigkeit einer Handlung und Situativität bzw. Individualität einer Handlung“[iii].

Die designwissenschaftliche Perspektive nimmt im Hinblick auf wirtschaftliche Aspekte wie Werte, Wahrnehmung, Adoption eine erklärende Metaebene ein, eine reflektierende Ebene, die außerdem pre-reflexiv agiert, da sie sich mit „gegebenen“ und „noch nicht gewordenen“ Möglichkeiten auseinandersetzt. Dieser Punkt ist wichtig. Zum einen bewege ich mich ausschließlich auf einer reflexiven Ebene, da ich daran interessiert bin, Design als eine „Orientierungswissenschaft“[iv] zu verstehen, als eine Sprache aller Sprachen, als ein Instrument aller Wissenschaften, wie wir es in Bezug auf Morris formuliert gefunden haben. Andererseits handele ich „rekonstruktiv“, indem ich beide Sprachen in Dialog zueinander bringe und dieser Dialog ergibt sich in der Situation – wo Werte, Bedürfnisse, Ziele, Kulturen etc. aufeinandertreffen, erfahrbar und verstehbar werden und die Notwendigkeit für Übergänge schaffen (Innovation). Dieser Akt der Hybridisierung schafft Raum für Anerkennung, aber auch Kritik (Anpassungsprozesse). Er erfordert reflexive wie pre-reflexive Mittel und Wege, um das Aufeinandertreffen zweier Sprachen zu verstehen und zu überschreiten.

Demnach stellen Reflexion und Orientierung sicherlich einen zentralen Punkt des designwissenschaftlichen Handelns in wirtschaftstheoretischer Hinsicht dar. Wichtiger jedoch scheint fast noch die Empathie.[v]

Empathie

Sie schafft die Verbindung zur Situation, aber auch zur Ebene „noch nicht gewordener“ Möglichkeiten (kreatives Handeln). Beide Ebenen – Reflexion und Empathie – sind nicht beliebig durchlässig und austauschbar. Empathische Vorgänge vollziehen sich in der Regel nicht bewusst, sie treten spontan und intuitiv auf. Dennoch sind Verstehen und Kommunizieren ohne Empathie nicht möglich, da Einfühlung erst erlaubt, sich in andere Personen, Gegenstände und Situationen hineinzuversetzen und darin Möglichkeiten im Umgang zu schaffen. Empathie befähigt, „im Umgang“ kreativ zu sein, sich Ziele vorzustellen, „gebräuchliche“ Werte und Kulturen beweglich und adaptiv zu gestalten; und zu überschreiten. „Im Umgang“ ist gleichbedeutend mit prozessual und dieser Umgang bezieht sich auf Werte und Kulturen, die zugleich auch immer Identitäten implementieren.

Mit Werten identifiziere ich mich, sie wurzeln tief in Persönlichkeitsstrukturen und Wesenseigenschaften – von Unternehmen, Personen, Objekten, Naturen, Realitäten etc. Um diese Werte zu verstehen, muss es möglich sein, neben einem „Verstandeserkennen […] Gefühls- und Willenserkennen“[vi] zur Geltung zu bringen. Eine prozessuale Designtheorie reflektiert den Umgang mit Werten und damit mit Identitäten und Möglichkeiten. Kreativität entsteht im Verstehen und der Kommunikation identitätsschaffender Werte.

Der gestalterische Aspekt – verstanden als Selbstzweck und reiner Schaffensakt – ist deshalb zweitranging. Wenn in dieser Abhandlung wiederholt von der „Kreativität des Handelns“ gesprochen wurde, dann bezieht sich diese Formulierung tatsächlich auf den wirtschaftstheoretischen Umgang mit Werten und Kulturen, der mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet, als es im wirtschaftlichen Alltag von Zielvereinbarungen, statistischen Auswertungen und PowerPoint-Präsentationen den Anschein hat. Hier unterscheidet sich das vorgestellte Designverständnis von verbreiteten Auffassungen zur Rolle des Designs. Design ist keine „Magie“, die darauf abzielt, Kundenvertrauen zu festigen und unternehmerische Standards zu sichern. Design kann und soll diesen Ansprüchen genügen, jedoch als reflexive und nicht gestalterische Praxis. Der Gegenstandsbezug im Sinne des „Werkzeugcharakters von Objekten und den Informationsgehalt von Daten“[vii] interessiert ein prozessuales Designverständnis wenig.

Gestalte ich ein Objekt, gebe ihm eine bestimmte Form und Farbe, stellt sich der Schaffensakt für sich genommen als banal und beliebig dar. Das festzuhaltende Ergebnis besteht auch darin, dass ich viele Möglichkeiten nicht wähle. Entscheidung schließt. Ist nicht das Erzeugen und Offenhalten von Möglichkeiten essenziell für den Designer und den Designprozess? Der Prozess des Darüber-Nachdenkens, des Variierens, des Neu-Beschreibens und damit Neu-Bewertens?

Bestimmt der Gegenstandsbezug den Handlungsraum des Nutzers von Produkten? Wie ein Produkt beschaffen und gestaltet ist? Etwas über Ästhetik gefällig zu machen, ist Gestaltung. Es beschreibt den Versuch, Anschluss herzustellen und ist damit bereits Teil der Adoption. Ein prozessuales Designverständnis versteht den Gegenstandsbezug (Objekt, Ablauf, Information, etc.) nicht alleine als Gebrauchswert (Instrument) in einer zu erwartenden und zu erforschenden Situation, sondern als Teil eines offenen Prozesses. Der Zielbezug erklärt sich nicht erschöpfend in erwarteten Handlungszielen, welche sich vorwegnehmend kalkulieren lassen. Design kann nicht auf Gegenstandsbezug und Handlungsziel reduziert werden – im Sinne eines „Werkzeugcharakters“, der vorgreifend analysiert werden kann. Dieses verbreitete Designverständnis agiert sowohl am Gegenstand als auch am eigentlichen Nutzen vorbei, weil es „Werte“ außer Acht lässt – Werte im Sinne eines vorausgreifenden und übergreifenden Sinnzusammenhangs, der nicht völlig durchdringbar ist.

Erscheint es zum Beispiel sinnvoll, ein Onlinedatenarchiv grafisch aufwendig als virtuelle, dreidimensionale Bibliothek zu gestalten, wenn der Gebrauchswert dieser Anwendung ein möglichst effizientes Auffinden von Daten ist (vgl. Abb. )?

Virtuelle Bibliothek


Texteingabefelder der 80er-Jahre-Bürocomputer


Ein Gegenbeispiel dazu bieten die reduzierten Texteingabefelder (grün auf schwarz) der 1980er-Jahre der Bürocomputer (vgl. Abb. 20). Die komplexe Gestaltung der virtuellen Bibliothek soll ansprechen und Anschlussfähigkeit sichern. Problematisch an diesem Beispiel ist nicht die offensichtliche Fehleinschätzung von Gebrauchswerten, welche die Gestaltung an dem eigentlichen Nutzen hoffnungslos vorbeizielen lässt. Vielmehr ist es die gängige Praxis davon auszugehen, der Gebrauchswert ließe sich aus dieser kalkulierbaren Perspektive erschließen und über Gestaltung anschlussfähig machen.

Der Situationsbezug ist ausschlaggebend für prozessuale wie gängige Designverständnisse. Der Unterschied liegt im Umgang mit diesem Situationsbezug, ein Umgang, der sich nicht auf Lösungen, sondern Möglichkeiten richtet.

Damit zielt die Kritik nicht nur auf diejenigen, die sich Designer nennen und Gestaltung ausüben, sondern auch auf die Wirtschaftler und ihr in der neoklassischen Ökonomie verhaftetes Denken, die nicht in der Lage sind, die wichtigsten Aspekte im Umgang mit Innovationen zu berücksichtigen.

Ein prozessuales Designverständnis als Designtheorie lässt sich als Denken in Verbindungen beschreiben, welches Reflexion, Orientierung, Sprache, Empathie und situatives Verständnis (Handlungsrahmen) zusammenfügt: eine einfühlende Reflexion, die das Vermögen, Sinnzusammenhänge (Umwertungsprozesse) in einer Situation rückbezüglich (Gegebenheiten) und vorgreifend (Ziel) zu reflektieren, beschreibt. Mit anderen Worten – das Schaffen und nicht Schließen von Möglichkeiten sowie das Gleiten zwischen Reflexion und Empathie. Dazu gehört ein Sich-Lösen aus der Situation, um auf die Ebene der Reflexion zu kommen, aber auch ein empathisches Wieder-Zurückkehren zu ihr. Als reflexive/pre-reflexive Tätigkeit steht der Designprozess also vor, im und nach dem Handeln. Daher stellt er auch den Rahmen des Handelns dar. Im prozessualen „Lösen“ und „Binden“ kommt die Spannung zwischen Situation und Reflexion prozessual zur Geltung und hebt den eigentlichen Umwertungsprozess hervor, den innovative Prozesse vollziehen.

Empathie verknüpft Innen und Außen, intrasubjektive und extrasubjektive Aspekte in einer beweglichen, gleitenden, hybridisierenden Weise und schafft darin Übergänge – die Voraussetzung zu Umwertungsprozessen. Wie Groys betont: „Die Innovation besteht nicht darin, dass etwas zum Vorschein kommt, was verborgen war, sondern darin, dass der Wert dessen, was man immer schon gesehen und gekannt hat, umgewertet wird.“[viii]

Empathie hält den beschriebenen Prozess also innerlich zusammen, während die Reflexion Beschreibung erst möglich macht. Die Einfühlung stellt eine intuitive, pre-reflexive Handlungsmotivation dar. Gerd Gigerenzer beschreibt Intuition und Bauchgefühl als „rasch im Bewusstsein auftauchend“ und „stark genug, um danach zu handeln“.[ix] Bauchgefühl erscheint damit näher an Entscheidungsabläufen, während Empathie enger mit Kommunikationsvorgängen verknüpft ist.

Einfühlung motiviert, einen gemeinschaftlichen Handlungsrahmen zu schaffen und dialogisch zu agieren. Sie greift pre-reflexiv und intuitiv „noch nicht gewordene“ Möglichkeiten auf/vor und kommuniziert diese. Sie schreibt keine Verhaltens- und Verwaltungsregeln vor. In einer empathischen Empfindung sagt mir mein Bauch, was zu tun ist – das Excel-Sheet mit dem Businessplan dazu ist alleine eine kognitive Rechtfertigung. Mein Bauch sagt meinem Gehirn, was zu tun ist. In diesem Moment trete ich bereits in einen Dialog mit „noch nicht gewordenen“, aber schon erwarteten Möglichkeiten. Ich projiziere in einen Erwartungs- oder Zielhorizont und richte meinen Rahmen des Handelns immer wieder darauf aus.

Ziele entstehen lassen

Auf Unternehmensführung übertragen heißt das, Ziele im Umgang mit Werten und Kulturen entstehen zu lassen und nicht als Zielvereinbarung vorzugeben. Hier setzen aktuelle Entwicklungen in Unternehmen auch an: Wie schaffen wir es, dass wir/unsere Mitarbeiter innovativ werden? Effizienz ist das Gegenteil von Neugier. Neugier ist jedoch treibende Kraft von Innovationen, wie also implementiere ich „Neugier“? – indem ich Empathie herstelle. Warum wollen seit Jahren die meisten Hochschulabsolventen bei Google, Apple, BMW etc. arbeiten? Weil diese Unternehmen es verstanden haben, Werte zu vermitteln, die sich offen und adaptiv kommunizieren – innovativ.

Diese Werte stellten eine emphatische Bindung zu dem Unternehmen her, zu seiner Erscheinung, der Corporate Identity. Empathie heißt: Die Türen sind offen und man begegnet sich angstfrei. Diese identitätsstiftenden Werte, die eine Corporate Identity ausmachen, lassen sich nicht vorgreifend kalkulieren, sie entstehen im Zusammenhang mit Persönlichkeitsstrukturen und Wesenseigenschaften – von Unternehmen, Personen, Objekten, Naturen, Realitäten etc. Handlungsziele und vorhandene Strukturen sind aufs Engste miteinander verbunden.

Erst wenn ich diesen Zusammenhang verstehe, kann ich Möglichkeiten schaffen, kann den „gebräuchlichen“ Wertekanon ausweiten, um in einem Zielhorizont unterschiedliche Wertekanons gleichberechtigt – d. h. hybrid – zu erfahren und zu nutzen.

Alleine ein Mehr an Dialog lässt ein Mehr an Entwicklung erwarten. Sinnzusammenhänge vorgreifend zu verstehen, um Übergänge zu schaffen, heißt, die Potenziale des Gegebenen zu realisieren. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, welchen Hintergrund eine Führungspersön­lichkeit hat, weil sich über diesen Hintergrund Werte und damit Anpas­sungsfähigkeiten definieren. Persönlichkeitsstrukturen / Wesenseigenschaften bestimmen Werte (intrinsische Motivation) und entscheiden damit über Kompatibilitäten.

Bin ich nicht bereit, die gebräuchlichen unternehmenskulturellen Werte für Impulse zu öffnen – d. h. ein angstfreies und offenes Umfeld schaffen – ist es hoffnungslos, „kreative Köpfe“ mit abweichendem Wertekanon einzustellen, wie es häufig praktiziert wird. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf das Geschäftsmodell: Große Agentur kauft kleines, kreatives Unternehmen mit der Erwartung, erneuernde Impulse zu erhalten, zeigt sich jedoch zugleich wenig bereit, bestehende Strukturen zu öffnen und anzupassen. Eine eingehende Studie dieser gängigen Praxis (und ihr häufiges Scheitern) erscheint lohnend und sollte an anderer Stelle erfolgen. Vermuten lässt sich, dass unternehmenskulturelle Voraussetzungen zu stark auseinandergehen, wenn gegebene Strukturen bewegungslos auf Entscheidungsrationalen und Zielvorgaben beharren, anstatt einen offenen Dialog zu wollen. Ziel sollte es sein, einen gemeinsamen, produktiven Handlungshorizont zu schaffen. Alles andere sieht sich zum Scheitern verurteilt.

Damit sind wir wieder bei den Wissensständen und dem Umgang mit diesen – die Grundlage für ein prozessuales Designverständnis. Ich nehme kommunikative Prozesse als Perspektive wahr, aus der heraus ich die Situation und die in ihr wirkenden Operationen vorausgreifend und rekonstruktiv verstehe/bearbeite. Kommunikative Prozesse vermitteln Werte, die wiederum identitätsstiftend sind.

Diese bewegen sich kontinuierlich zwischen Vereinzelung und Verallgemeinerung, zwischen Voraussetzung und Absicht, zwischen realisierten und „noch nicht gewordenen“ Möglichkeiten, zwischen Situation und Diskurs, zwischen Reflexion und Empathie – Grenzgänge. Der Bedeutungswandel/Umwertungsprozess, der sich in und durch diese Spannungsfelder entwirft, findet in einem beweglichen, gleitenden Prozess statt, der essenziell als offen zu verstehen ist.

Hinzu kommt, dass ich als Teil des Umwertungsprozesses adoptiere, was mir – meinen Werten – Bedürfnisbefriedigung verschafft. Dazu muss das „Neue“ in seiner Kommunikation für mich anschlussfähig sein. Alleine der Designprozess sorgt für Anschlussfähigkeit: rückbezüglich, d. h. in Abstimmung mit Gegebenem (Situation, Wissen), und vorgreifend, d. h. auf Neues ausgerichtet (Ziel, Unwissen). Diese Anschlussfähigkeit stellt sich weniger über Gestaltung her als über einen reflexiven/pre-reflexiven Umgang mit Wissensständen.

Endnoten

[i] Böhler, Dietrich: Rekonstruktive Pragmatik. Von der Bewusstseinsphilosophie zur Kommunikationsreflexion. Neubegründung der praktischen Wissenschaften und Philosophie: Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1985, S. 138.

[ii] ebd, S. 138.

[iii] ebd, S. 139.

[iv] Der Begriff der Orientierungswissenschaft als maßgeblicher Anspruch einer Designtheorie wird etwa von Cordula Meier verwendet. Sie schreibt: „Die Domäne einer Designtheorie besteht darin, Wissen, Urteil, und Orientierung von reiner purer Information zu unterscheiden [Wissensstand], geht es in Zukunft doch darum, als Designer orientierte, d.h. perspektivische und wegweisende Experten im allgemeinen Informationspluralismus zu werden.“ Meier, Cordula: Design Theorie. Beiträge zu einer Disziplin: Anabas, Frankfurt am Main, 2003, S. 13.

[v] Vgl. Milch, Wolfgang: Einfühlung, Empathie, in: Mertens, Wolfgang/Waldvogel, Bruno (Hrsg.): Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, 3. überarbeitete und erweiterte Aufl.: Kohlhammer, Stuttgart, 2008, 152-157.

[vi] Sombart, Werner: Die drei Nationalökonomien. Geschichte und System der Lehre von der Wirtschaft: Duncker & Humblot, München, 1930, unter https://visuallibrary.net/ihd/content/titleinfo/318816 [Stand 17.5.16; 9:35 Uhr], S. 78.

[vii] Bonsiepe, Gui: Interface. Design neu begreifen, Bollman, Mannheim, 1996, S. 20.

[viii] Groys, Boris: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie: München, Carl Hanser, 1992, S. 14.

[ix] Gigerenzer, Gerd: Bauch Entscheidungen: Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2008, S. 25.

© K.Kuenen, 2018


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